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ruthknaup

Unfrohe Ostern


Während einer Pandemie einen Blog zu schreiben, das ist schon eine zunehmende Herausforderung. Wie ein Freund es drastisch formulierte: Seit einem Jahr passiert entweder Scheiße oder es passiert gar nichts.

Warum, das ist klar: weil fast alle Aktivitäten, bei denen wir üblicherweise auftanken, die uns seelisch inspirieren und nähren, unmöglich geworden sind. Ein Psychologen- Kollege und ich haben vor ein paar Jahren mal mit dem „Glückstagebuch“ experimentiert: Jeden Abend trägt man in einen Kalender einen oder zwei kleine Momente ein, in denen man glücklich war an diesem Tag. Im Austausch stellten wir fest: Dies waren fast immer Momente, an denen wir in einem nahen Kontakt mit Mitmenschen waren. Wo wir mit jemandem gelacht oder ein nahes Gespräch geführt haben, wo wir mit anderen gemeinsam gesungen, Musik gemacht, getanzt oder einfach nur gegessen haben. Wo wir jemanden umarmt, gestützt oder gehalten haben. Menschliche Nähe macht glücklich. Und sie fehlt uns jetzt an allen Ecken und Enden.

Hey, es ist ja nicht so, dass ich mich mit dem Thema „Selbstfürsorge“ nicht auskennen würde – ich habe ein gar nicht mal erfolgloses Buch darüber geschrieben und in meinem Leben unzählige Vorträge und Seminare darüber abgehalten. Aber ich muss gestehen, auch mir geht gerade ziemlich die Puste aus.

Seit 52 Wochenenden haben wir die Wahl zwischen „Spazieren gehen“ und „Fahrrad fahren“. Manchmal liege ich Samstags morgens im Bett und versuche mich daran zu erinnern, wie ein normales Wochenende im April „früher“ aussah: Viele kleine Blumenpöttchen kaufen, in einem Cafe in der Sonne sitzen. Abends Tanzen gehen: Contact Jam oder Tango Milonga. Oder ins Kino? Oder schön essen gehen? Kann man schon draußen essen? Oder macht jemand eine Party? Oder sind wir an dem Wochenende sowieso nicht da, weil mein Freund und ich an die Ostsee fahren? Hey, oder wie wäre es mit Besuch einladen? Ach, und Grillen mit den Nachbar/innen, das wäre super. Also an jenen Wochenenden, die ich überhaupt zuhause bin, und nicht gerade irgendwo einen Workshop gebe.

Und jetzt?

Jetzt ist da eine große, große Leere.

Seit Beginn der Pandemie waren alle meine Wochendseminare ausgebucht, und alle sind ausgefallen. Manchmal habe ich erst 24 Stunden vorher erfahren, das das Seminar nun doch ausfällt. Ich hatte alles fertig vorbereitet. In einem Fall bin ich sogar noch auf den Stornokosten für meine Unterkunft sitzen geblieben. Ich kam mir vor wie die letzte Idiotin.

Nur einzelne kleine Teamfortbildungen konnten stattfinden, wenige Menschen in riesigen Sälen. Alles fühlte sich irgendwie unbeholfen und komisch an, und dennoch war es intensiv, produktiv und lustig, als hätten die Teilnehmenden seit Monaten ihre Motivation aufgespart für diese erste „real life“- Fortbildung.

Alle sind so müde vom ewigen „vor dem Rechner sitzen“. Beruflich wie privat. Ich möchte inzwischen jedem, der mir locker entgegenschleudert: „Ach, das kannst du doch alles online machen...“, eine reinhauen. Nein, Kommunikation, Teamarbeit, Entspannung, Körperarbeit, Tanz-Theater und Kontaktimprovisation kann man NICHT am Rechner erleben, geschweige denn ausprobieren und lernen. Ich habe keine Lust mehr, mich zu rechtfertigen, warum ich denn keine „Webinare“ anbiete. WEIL ES QUATSCH WÄRE!

Inzwischen feiern ja manche Leute sogar ihre Partys als Zoom- Veranstaltung. Da kann ich nur noch traurig den Kopf schütteln. Für mich sind „mit Freunden eine fröhliche Party machen“ und „alleine zuhause vor dem Rechner hocken“ zwei sich gegenseitig ausschließende Kategorien. Und ehrlich gesagt: Ich möchte, dass das auch so bleibt. Wenn ich eines Tages anfangen sollte, das eine mit dem anderen zu verwechseln, bin ich wirklich reif für die Psychiatrie...


Also bleibt immer nur das ewige verschieben und warten. Und wieder verschieben und wieder warten. Und wieder verschieben und wieder warten. Es könnte nicht frustrierender sein.

Anfangs haben wir den Versicherungen der Politik noch geglaubt: Wenn wir über Ostern alle brav alleine zuhause bleiben, können wir danach Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren. Sagte Jens Spahn. Vor einem Jahr.

Seit dem halten wir uns brav an all die drastischen Maßnahmen und Verbote und Verzichte und der Erfolg ist gleich null. Die einzige Hoffnung besteht im Impfstoff, aber davon haben wir viel zu wenig.

Also kriechen wir alle weiter Monat für Monat unter dem Damoklesschwert einer drohenden Infektion herum und ängstigen uns schier zu Tode. Ein lebenswertes Leben sieht anders aus.

Sollte ich als bloggende Psychologin jetzt nicht abschließend einen tröstenden Trumpf aus der Tasche ziehen?

Nein, sollte ich nicht. Denn, wie mein wunderbarer Gestalttherapie- Supervisor Bent Falk zu sagen pflegt: „You can`t polish shit!“. Scheiße kann man nicht polieren.

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